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Abschied von einer Legende

von Karin Hinkel
email: hinkelk@informatik.tu-muenchen.de

München, Augustenstraße 46. Generationen von Studierenden der Informatik haben sich in diesem Gebäude einer der schwersten studentischen Prüfungen unterziehen müssen und sich ein endloses Semester lang allwöchentlich durch das TGI-Praktikum gequält (Technische Grundlagen der Informatik, ein Schreckgespenst in dem größtenteils theoretischen Fach). Noch Jahre später erinnert man sich der alten Holztreppen, deren Knarzen die Geschichten von Tausenden von Schritten erzählt. Kurz vor Praktikumsbeginn boten die Treppenstufen noch Sitzgelegenheit, um einen letzten verzweifelten Blick auf den Lernstoff zu werfen. Wenn Lehrstuhlangehörige um diese Uhrzeit die Treppen benutzen wollten, mußten sie viel Geduld aufbringen und sich vorsichtig zwischen Studenten und Taschen hindurchtasten. Doch selbst während der Stoßzeiten sind die alten Holztreppen immer noch als sicherer eingestuft worden als der Aufzug für vier Personen, der schon beim bloßen Anblick seinen Geist aufzugeben schien. Außerdem wäre es doch schade, auf das Erlebnis zu verzichten, auf dem ersten Treppenabsatz in einen herrlichen (Poster-) Wald weitergehen zu können oder ein Stockwerk höher auf einen herrlichen Bergsee zu blicken. Die Rechner in den verschiedenen Praktikumsräumen mochten so gar nicht zu den drei Meter hohen Wänden und dem knarzenden Holzboden des Altbaus passen. Immer wieder verwunderte die interessante Architektur eines jeden Stockwerks, das man von der einen Seite betreten und nach einem gemächlichen Rundgang auf der anderen Seite wieder verlassen konnte. Neben dem Vordergebäude (AV), oder besser gesagt: hinter dem Vordergebäude, gibt es noch das berühmt-berüchtigte Rückgebäude (AR). Schon mancher Student hat sich - trotz genauester Anleitungen des Tutors - auf der Suche nach ,,AR 412`` verlaufen. Fand er endlich den richtigen Eingang, erschien der Aufstieg in den vierten Stock als zu mühselig und er entschied sich für den dortigen Lastenaufzug. Mit unendlicher Langsamkeit schlich der Aufzug dahin. Ist es da ein Wunder, daß er zu spät in die WaSti-Übung kam? Ein tadelnder Blick des Tutors schien ungerecht, war er doch gerade glücklich, diesem Monster von Lastenaufzug und dem beklemmenden Gefühl von Platzangst entkommen.

Bruno Piochatz konnte man sich nur in diesen Gebäuden vorstellen, sie und er waren eine Institution. Nicht zu vergessen der Lehrstuhl von Prof. Jessen, dessen Büroräume ständig vom Knarzen der alten Parkettböden erfüllt waren, vom ewigen Summer der Rechner und natürlich vom emsigen Arbeiten und Plaudern der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Eigentlich sollten AV und AR erst im Jahre 2001 im Rahmen des allgemeinen Umzugs an der TU in Gebäude an der Gabelsbergerstraße umziehen. Der Eigentümer der Augustenstraße 46 greift dieser Entwicklung jedoch voraus, indem er den Abriß des Anwesens angekündigt hat. Meilenweit scheinen bisher die Gebäude in der Augustenstraße vom Südbau und der Cafeteria entfernt, in Zukunft rücken sie noch weiter in die Ferne. Die Straße bleibt die selbe, nur die Hausnummer ändert sich: 77, also auf der anderen Seite der Theresienstraße (aber dafür näher bei der Eisdiele.) Und ab März 97 wird jeder fallende Ziegelstein und jede berstende Holzbodenplanke ein pixelgroßes Loch in die Geschichte der Informatik an der TU schlagen.

Karin Hinkel

Nachtrag: Wohin ,,extralarge`` mit der molligen Mode hinverschwindet? Keine Ahnung, wen kümmert's.

 


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