von Andreas 'Pick' Beigel
Am 11. Juli fand im Garchinger Physikdepartment eine Podiumsdiskussion zum Thema FRM-II statt, organisiert von der Fachschaft Mathematik/Physik/Informatik in Zusammenarbeit mit der Projektgruppe Neuer Forschungsreaktor.
Nach einigen einleitenden Worten der Veranstalter und des TU-Präsidenten Wolfgang A. Herrmann gaben Dipl.-Phys. Karin Wurzbacher vom Umweltreferat der Stadt München und der Gesamtprojektleiter FRM-II, Dr. Anton Axmann, einen Überblick über die wissenschaftlichen, (sicherheits-) technischen und (umwelt-) politischen Aspekte des Themenkreises.
Der neue Reaktor soll als Quelle für Neutronen dienen, mit denen man physikalische, chemische und biologische Grundlagenforschung betreiben kann. Eine wichtige Rolle spielen Neutronen auch in der Materialforschung und in der Medizin, wo sie sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie Verwendung finden.
Die in Europa bestehenden Neutronenquellen wie der als ,,Atom-Ei`` bekannte Forschungsreaktor München I (FRM-I), der aus dem Jahre 1957 stammt, oder der seit 1972 bestehende Reaktor in Grenoble, die größte Neutronenquelle Europas, sind nach Aussage der Befürworter des FRM-II veraltet und überbelegt, so daß der Ruf nach einer neuen Hochfluß-Neutronenquelle laut wurde. Man beschloß den Bau eines neuen Forschungsreaktors in Garching.
Um nun einen hohen Fluß an kalten (also langsamen) Neutronen zu erreichen, entschloß man sich zur Verwendung eines kompakten Kerns aus hochangereichertem Uran (HEU), was einerseits den Vorteil eines hohen Neutronenflusses bei vergleichsweise niedriger Reaktorleistung bietet, andererseits aber wegen der prinzipiellen Tauglichkeit dieses Brennmaterials zum Bau von Atomwaffen politisch umstritten ist. Sowohl in den USA als auch in Europa wurden im Rahmen des Abreicherungsprogrammes RERTR viele Forschungsreaktoren von HEU auf LEU, also niedrigangereichertes Uran, umgestellt. Die einzigen Länder, die in den letzten Jahren HEU-Forschungsreaktoren neu bauten, waren Libyen und China.
Wollte man auf die Verwendung von HEU verzichten, müßte man entweder mit einem niedrigeren Neutronenfluß zufrieden sein oder aber die Leistung des Reaktors dementsprechend erhöhen. Ein alternatives Konzept zum FRM-II, das ohne hochangereicherten Brennstoff auskommt, stammt aus dem Argonne National Laboratory (ANL). Hier wird vorgeschlagen, das Kernvolumen etwas zu vergrößern, wobei Flußdichte und Brennzyklus wie beim geplanten Reaktor wären, wobei, so die Gegner des FRM-II, die Sicherheit der Neutronenquelle beträchtlich stiege. Die Befürworter des neuen Reaktors halten einen Umstieg auf LEU für ausgeschlossen, da das neue atomrechtliche Verfahren viel Zeit kosten würde, die man im internationalen Wettbewerb nicht hat, und die Neuplanung überdies sehr teuer wäre.
Heiß diskutiert ist auch die Sicherheitstechnik des neuen Forschungsreaktors. Fest steht, daß die 150 cm dicken Wände den Reaktor sogar gegen einen Flugzeugabsturz sichern, was ein Novum in der Welt der Forschungsreaktoren darstellt.
Zur eigentlichen Diskussion kommend seien hier nochmals die einleitenden Worte des TU-Präsidenten Wolfgang A. Herrmann erwähnt, in denen er auf die schwierige Beziehung zwischen Politik und Wissenschaft einging und mit dem Hinweis an den Sportsgeist der Diskussionsteilnehmer appellierte, daß ohne Streitkultur auch keine Wissenschaftskultur möglich ist.
Die Teilnehmer auf dem Podium waren Prof. Dr. Winfried Petry, Inhaber des Lehrstuhles E13 am Physikdepartment der TUM, als Vertreter der Reaktorbefürworter und Prof. Dr. Klaus Buchner vom mathematischen Institut der TUM für die Reaktorgegner. Souverän :) geleitet wurde die Diskussion von cand.-phys. Josef Dietl.
Nach zwei kurzen Anfangsstatements, in denen Prof. Dr. Buchner auf das neueste Alternativkonzept aus dem ANL hinwies und Prof. Dr. Petry nochmals die Wichtigkeit eines kleinen Reaktorkerns für einen hohen Neutronenfluß unterstrich, kamen aus dem Publikum Fragen, die sich hauptsächlich mit den politischen Aspekten des FRM-II beschäftigten. Da eigentlich geplant war, hauptsächlich über die wissenschaftliche Seite des Projekts zu reden, mußte also zunächst geklärt werden, ob man den Themenkreis in Anbetracht des großen Interesses von Seiten des Publikums nun auch auf die Politik ausweiten solle. Damit waren alle Teilnehmer einverstanden.
Die erste Frage war die nach der Proliferation, also nach der Gefahr, daß das waffenfähige HEU in falsche Hände gerät. Prof. Dr. Petry hielt diese Möglichkeit für ausgeschlossen, der FRM-II rege auch nicht den Handel mit hochangereichertem Uran an, da der Brennstoff für die neue Neutronenquelle aus alten Beständen von amerikanischem Uran kommt und sich schon in Europa befindet. Er hob wieder die Unerläßlichkeit von HEU für einen hohen Neutronenfluß hervor. Prof. Dr. Buchner machte klar, daß im Konzept vom ANL ja die Rede sei von einem gleich hohen Fluß an Neutronen und nicht etwa von Neutronenzahlen, wie Prof. Dr. Petry wohl meine. Auf die Frage, ob jemand, der über die technischen Fähigkeiten verfügt, Kernwaffen aus HEU zu bauen, nicht auch in der Lage sein sollte, LEU zu HEU anzureichern, antwortete er, daß die Anreicherung von Uran extrem schwierig sei, z.B. sei der Irak nicht in der Lage, waffentaugliches Uran herzustellen.
Als aus dem Publikum die Frage kam, ob die Verwendung von HEU im FRM-II einen Umbruch im militärischen Bereich auslösen könne, sagte Prof. Dr. Buchner, daß im EU-Verteidigungsausschuß schon die Rede von einer deutschen Nuklearbewaffnung gewesen ist, worauf Prof. Dr. Petry erwiderte, daß der FRM-II nichts mit Kernwaffen zu tun hat.
Die Publikumsfrage, ob die Anbindung des FRM-II an die TU eine einseitige Ausrichtung des Physikdepartments auf Neutronenforschung bedingen würde und ob den Studenten der TU überhaupt die Möglichkeit geboten werde, auch am Reaktor zu arbeiten, beantwortete Prof. Dr. Petry, indem er auf den Strukturplan des Physikdepartments verwies, in dem als Forschungsschwerpunkte neben der Neutronenphysik auch noch Halbleiter-, Bio- sowie Kern- und Teilchenphysik genannt werden. Die Unterstellung der einseitigen Ausrichtung sei also nichts als ,,politischer Lärm``. Er betonte auch, daß Diplomanden und Doktoranden am neuen Reaktor einen ganz wesentlicher Anteil an der Forschungsarbeit haben sollen. Prof. Dr. Buchner äußerte in diesem Zusammenhang, daß, wie er einer Mitteilung an die Landtagsfraktion entnimmt, nicht alle Stellen am Reaktor neu geschaffen werden sollen, was in zu der Befürchtung veranlaßt, daß Physiker aus der TU abgezogen werden und am FRM-II als Techniker eingesetzt werden. Prof. Dr. Petry entgegnete diesen Bedenken später mit der Feststellung, daß es am alten Reaktor 55 Stellen gebe und daß für den neuen Reaktor 131 Stellen geplant seien, was ja sogar die Schaffung neuer Stellen bedeute.
Eine Spallationquelle kommt als Alternative, so Prof. Dr. Petry auf eine dementsprechende Frage, nicht in Frage, da der Neutronenfluß von Spallationquellen zu niedrig und zudem gepulst ist, also auch einen kurzwelligen Anteil hat, den man für die geplanten Experimente nicht brauchen kann. Prof. Dr. Buchner räumte ein, daß man mit Reaktoren einen größeren Fluß erreichen kann, für viele Experimente jedoch seien Spallationsquellen, denen seiner Meinung nach die Zukunft gehöre, durchaus brauchbar.
Es folgte eine ziemlich lange und unergiebige Diskussion um die inhärente Sicherheit des Reaktors, ausgelöst durch die Frage, was es zu bedeuten hätte, daß im TÜV-Gutachten über den Reaktor von einem positiven Dampfblasenkoeffizienten am Kernrand zu lesen ist. Dazu ist für die Laien unter den Lesern zu sagen, daß es zur Beurteilung der Reaktorsicherheit eine große Anzahl von Koeffizienten gibt, für die aber prinzipiell immer gilt: ist die entsprechende Zahl negativ, ist der Reaktor sicher, ist die Zahl positiv, kann es (theoretisch) zu unerwünschten, sogar unkontrollierten Reaktionen kommen. Kompliziert wird der Sachverhalt zusätzlich dadurch, daß die erwähnten Koeffizienten jeweils sowohl lokal, also an nur einer Stelle im Reaktorkern, als auch im globalen Mittel über den gesamten Kern berechnet werden. Prof. Dr. Petry argumentierte, daß ein Reaktor mit positivem Reaktionskoeffizienten in Deutschland gar nicht genehmigungsfähig sei, wobei ihm aus dem Publikum Prof. Dr. Wolfgang Gläser, Inhaber des Lehrstuhles E21 am Physikdepartment und einer der ,,Reaktorväter``, mit der Bemerkung beipflichtete, daß hier ja deutsche Gründlichkeit walte und der TÜV ja auch nur den Projekten sein O.K. gebe, die sicherheitstechnisch völlig unbedenklich sind. Prof. Dr. Buchner meinte hierzu, daß es im FRM-II durchaus positive Koeffizienten gebe, woraufhin Prof. Dr. Petry ausrief ,,es ist alles negativ``.
Auch das in dieser Form noch nicht getestete Brennmaterial gab Anlaß zur Diskussion: nach Meinung Prof. Dr. Buchners ist seine inhärente Stabilität um einen Faktor 10 schlechter als z.B. beim oben erwähnten ANL-Alternativkonzept, nach Aussage von Prof. Dr. Petry kann man aus vorhandenen Meßdaten auf das Schwellverhalten des neuen Materials schließen.
Abschließend geklärt werden konnte auch die Publikumsfrage nicht,
ob das im Reaktorkern verwendete Aluminium bei einer Temperatur von
C nun katalytisch Wasserstoff erzeugt, was zu einer
gefährlichen Druckerhöhung im Reaktor führen könnte, oder nicht.
Hier schloß sich ein ziemlich hypothetischer Streit an über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, den Reaktor in die Luft zu jagen. Laut Prof. Dr. Buchner wären z.B. schnelle Reaktivitätsänderungen sehr gefährlich, solche treten aber laut Dr. Axmann, der sich hier in die Diskussion einschaltete, nicht auf.
Auf die wieder mehr politische Frage, ob es denn sinnvoll sei,
so viel Geld für ein einzelnes Projekt auszugeben, das, man bedenke
die schwierige Haushaltslage, dann andernorts fehlt, erwiderte
Prof. Dr. Petry, daß man für das Geld ja auch eine sehr starke
Quelle kalter Neutronen bekäme; die Entscheidung für den FRM-II hat
der Deutsche Wissenschaftsrat getroffen, in dem alle deutschen
Universitäten sowie die Minister der Bundesländer vertreten sind.
Der Deutsche Wissenschaftsrat kann sich nur mit einer
-Mehrheit für ein Großforschungsprojekt entscheiden.
Als Vergleich zu den Baukosten von ca. 600 - 720 Mio. DM führte
Prof. Dr. Petry den TU-Jahresetat mit 1,3 Mrd. DM an.
Die Frage, ob es richtig sei, daß die radioaktiven Stoffe in abgebrannten Brennelementen aus HEU eine wesentlich kürzere Halbwertszeit hätten als in verbrauchten LEU-Brennelementen, bejahte Prof. Dr. Petry: das beim Verbrennen von LEU entstehende Plutonium ist um Zehnerpotenzen langlebiger als die Produkte aus einem HEU-Reaktor. Nach Meinung von Prof. Dr. Buchner ist das kein Argument für HEU, da die Menge von ca. 150 g Plutonium, die in einem LEU-Forschungsreaktor entsteht, sehr gering ist im Vergleich zu ungefähr einer Tonne Plutonium, die in jedem Leistungsreaktor erzeugt wird.
Sehr interessant waren auch die Antworten auf die im ungünstigsten Fall
eines Unfalles zu erwartenden Szenarien. Nach Prof. Dr. Petry würde selbst
im worst case die Strahlenbelastung höchstens des
gesetzlichen Grenzwertes für strahlenexponierte Personen ausmachen, laut
Prof. Dr. Buchner müsste im schlimmsten Fall der ganze nördliche Teil
Münchens evakuiert werden.
Fazit: eine engagierte, aber sachliche Diskussion, sowohl auf dem Podium als auch mit dem Publikum, die eine Detailtiefe erreichte, wie sie nur bei akademischen Diskussionen möglich ist. Das Ziel der Veranstalter, die heranwachsenden Physiker in Garching über ihren neuen Nachbarn zu informieren, wurde mit Sicherheit erreicht, und auch der Wunsch des Präsidenten nach einer kultivierten, umfassenden Diskussion erfüllte sich.
Andreas 'Pick' Beigel