next up previous contents
Next: 23 Nachtrag zu den Up: Impulsiv Nr. 55 - Previous: 21 Versammlung -- Platz

22 Wie es zum Schlüsselhinterlegungs- und Aufbewahrungs-Gesetz (SchlAG) kam

Nachdem die Einbruchskriminalität auch dem letzten klargemacht hatte, daß starke Haus- und Wohnungstüren mit ordentlichen Schlössern nötig seien, ja die Industrie geradezu vortrefflich stabile Türen und geradezu geistreiche Schlösser herstellte und verkaufte, stand die Polizei buchstäblich vor einem neuen Problem: Hin und wieder stand sie vor der Tür - und (k)ein Einbrecher war dahinter. Da nun aber das gewaltsame Öffnen der Tür viel schwieriger war und länger dauerte als vorher und die meisten Häuser vier Seiten haben, während Polizeistreifen nur aus zwei Personen bestehen, waren die Einbrecher oftmals schon über alle Fenstersimse, bevor die Polizei sie hätte sehen oder gar fassen können (sofern es überhaupt Einbrecher gegeben hatte - was oftmals hinterher kaum zu entscheiden war). Ähnlich schlecht ging das Ausheben organisiert-krimineller konspirativer Treffen. Unsere Gesetzeshüter waren grenzenlos frustriert.

Deshalb wurde der Arbeitskreis ,,Strategische Unsicherheits-Studien (StUsS)`` beauftragt, Lösungsvorschläge auszuarbeiten. In Nacht- und Nebelsitzungen wurde erwogen:

Polizeistreifen werden auf 4 Beamte verstärkt, was die Personalkosten jedoch verdoppelt und deshalb mit der Maxime sparsamen Bürgerschutzes nicht vereinbar schien.

Die neuen Türen werden verboten. Dies wurde als politisch nicht durchsetzbar erachtet, da jahrelang neue Türen propagiert worden waren und inzwischen jedermensch die Einbruchsproblematik bei schwachen Türen oder Schlössern begriffen hatte.

Die neuen stabilen Türen mit einem ordentlichen Schloß erhalten einen zusätzlichen Notknopf, mit dem sie von außen jederzeit geöffnet werden können. Die mißbräuchliche Benutzung des Notknopfs wird mit hoher Strafe belegt, verdeutlicht durch Beschriftung des Notknopfs mit ,,Nur für den Dienstgebrauch von Polizei und Rettungsdienst bei Gefahr im Verzug oder Vorliegen einer richterlichen Genehmigung``. Die JuristInnen betonten, dieser Vorschlag behindere die Türen- und Schlösserindustrie in keiner Form, insbesondere nicht den Export der neuen Hochsicherheitstechnik. Und Mißbrauch des Notknopfs sei verboten - sie sähen überhaupt kein Problem. Die PolitikerInnen lobten, die Lösung stehe nicht im Widerspruch zu den bisherigen Presseerklärungen und Wahlversprechen. Der Vorwurf der ,,Schlüssellüge`` könne nicht erhoben werden. Alle waren sich einig, bis der Industrievertreter der Schlösser- und Riegelproduzenten - ein verbohrter Ingenieur ohne jedes juristische und politische Taktgefühl - meinte, warum denn dann nicht gleich das ganze moderne Schloß samt Notknopf weggelassen würde und lediglich das Schild montiert: ,,Eintritt von Polizei und Rettungsdienst nur bei Gefahr im Verzug oder Vorliegen einer richterlichen Genehmigung``. Das spare Kosten und sei funktional äquivalent.

Der Arbeitskreis StUsS war ratlos, bis Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Oberklug auf die rettende Idee kam:

Jeder, der eine neue stabile Tür mit einem ordentlichen Schloß besitzt, muß einen Schlüssel bei der örtlichen Polizei hinterlegen.

Der Vorschlag war grandios, leider aber nur unvollkommen durchführbar: Manche fühlten sich durch den Gedanken, die Polizei könnte jederzeit unentdeckt in die Privatwohnung wie auch das Böro eindringen, gestört - und wurden bei der Schlüsselübergabe noch mit der Nase darauf gestoßen. Andere vergaßen einfach, den Schlüssel zu hinterlegen.

Nach wenigen Monaten wurde der Arbeitskreis StUsS erneut zusammengerufen, um eine bessere Lösung zu finden. Da nun wuchs der Vorsitzende des Dachverbandes der Schlösser- und Riegelproduzenten in staatsbürgerlichem Gehorsam über sich und Prof. Oberklug hinaus und schlug folgendes vor:

Bereits der Schlüsserproduzent liefert für jedes Schloß einen Schlüssel bei der Bundespolizei ab. So könne das Schlüsselabliefern nicht vergessen werden.

Der Staatsminister Dr. Behüteuchall war entzückt und nahm sich vor, dies in den Entwurf des Schlüsselhinterlegungs- und Aufbewahrungs-Gesetzes (SchlAG) hineinzuschreiben. So geschah's und die Unruhe in der Bevölkerung nahm ab, denn die Schloßkäufernasen wurden geschont und über die zentrale computergestützte Schloßverbleibsdatenbank zum Schloßendverbraucherverwendungsnachweis kaum öffentlich diskutiert. Manche PolitikerInnen fühlten sich zwar zur Information der Öffentlichkeit verpflichtet - sie konnten aber mit dem Argument, nicht der organisierten Kriminalität den Weg zu den Schlüsseln zu weisen, davon abgebracht werden. Denn in einem waren sich alle einig: Solch eine Datenbank ist nicht zu schützen - hier hilft nur verstecken und schweigen. Und so fiel dann auch niemand auf, daß das weitere Ansteigen der Einbruchskriminalität weniger an zu laschen Gesetzen als vielmehr daran lag, daß viele Schlüssel doch in die falschen Hände gelangten. Auch nahmen die konspirativen Treffen nicht ab - sie fanden nur woanders statt. Auffällig waren die gesündere Gesichtsfarbe der organisierten Kriminellen im Sommer und häufigere Erkältungskrankheiten im Winter.

Sie halten diesen AnSchlAG auf Sicherheit, Unverletzlichkeit der Wohnung und Privatsphäre für frei erfunden und aberwitzig unsinnig. Mit dem zweiten haben Sie recht, mit dem ersten leider nicht: Stellen Sie sich statt Wohnungen und Häusern Rechner in der künftigen Informationsgesellschaft vor, statt Schlössern kryptographische Systeme, statt materieller Schlüssel digitale Bitmuster, statt Notknöpfen leicht brechbare kryptographische Systeme, statt versteckter konspirativer Treffen außerhalb von Wohnungen mittels Steganographie unentdeckbar gut versteckte geheime Nachrichten. Überlegen Sie, wie viel leichter und unentdeckter immaterielle Schlüssel aus der Datenbank entwendet werden können als materielle Schlüssel. Und dann denken Sie an die Key-Escrow-Debatte (Clipper etc.) in den USA, die Diskussion über ein Kryptogesetz hinter verschlossenen Türen (ohne Notknöpfe) in Bonn, lesen Sie das Prachtwerk unserer Regierung, die Fernmeldeverkehr-Überwachungs-Verordnung (FÜV), insbesondere § 8(4). Sie finden Sie unter
http://www.thur.de/ulf/ueberwach/

Wenn Sie danach nicht nur ungläubig staunen, sondern zutiefst entsetzt sind, dann tun sie was dagegen - das ist in einer Demokratie nicht nur Ihr Recht, sondern fast auch Ihre Pflicht. Und wenn Sie einen Polizisten oder eine Polizistin treffen - spenden sie Trost, falls der Schlüssel zur Verbesserung der Welt fehlt. Nicht daß uns noch alle der SchlAG trifft.

Andreas Pfitzmann

 


next up previous contents
Next: 23 Nachtrag zu den Up: Impulsiv Nr. 55 - Previous: 21 Versammlung -- Platz



Impulsiv-Homepage